Am Beispiel dieses Projekts kann man nachvollziehen, dass man es bei der Translation mit mehreren Praktikerebenen zu tun hat. Die Projektdurchführenden, die Berufsgruppen verschiedenster Disziplinen, die bürgerschaftlich Engagierten sowie die Adressaten (Klienten, Patienten, Angehörige) selbst, sie alle folgen ihren eigenen Logiken und Verwendungen. Mehr dazu im Artikel „Intendierte und nicht intendierte Wirkungen beim Konzepttransfer am Beispiel eines Projekts in Bulgarien“, abrufbar unter https://www.researchgate.net/publication/340792511
Auch die Lernpartnerschaften im Erwachsenenbildungsbereich der Europäischen Union machen Chancen und Herausforderungen des „Transnationalen“ und „Translationalen“ deutlich. Die Projekte Unidos, eMotivate, CHANCE, Empowering the Elderly (siehe Rubrik „Projekte“) mit Partnern aus Spanien, Griechenland, Italien, Zypern, Ungarn, Rumänien, Niederlande öffneten den Blick über die eigene nationale Situation hinaus, auf die oft schlechteren materiellen Verhältnisse und Angebots- und Versorgungsstrukturen in anderen Ländern. Wenn Partner mit unterschiedlichem kulturellen und wirtschaftlichen Hintergrund sich auf eine Lernpartnerschaft einlassen, gilt es sowohl für das „Transnationale“ wie für das „Translationale“ gemeinsame Lösungen zu finden.
Transnationales
„Transnational“ bedeutet, über den Tellerrand der eigenen länderspezifischen Sichtweise hinauszugehen. Herausforderungen dabei betreffen zunächst die Sprachvielfalt. In der Europäischen Union sind mehr als zwanzig Amts- und Arbeitssprachen verzeichnet, es existiert eigens ein EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit. Noch schwieriger wird es sprachlich in der Umsetzung der Projekte bei den Kontakten mit den älteren Kursteilnehmern vor Ort, besonders wenn sie der Zielgruppe der sozial benachteiligten Älteren angehören.
Altenbegegnungen in Europa unterscheiden sich, was die Möglichkeit betrifft, sich in einer Sprache zu verständigen, von den Austauschprogrammen und Begegnungen der heutigen jungen Erasmus-Studierenden in Europa. Jüngere Mitarbeiter in den Seniorenbildungsprojekten helfen, Sprachprobleme zu überwinden. Die intergenerativen Kontakte spielen auch inhaltlich bei den verschiedenen Bildungsthemen und im Erfahrungsaustausch zwischen „Jung“ und „Alt“ eine wichtige Rolle.
Auch bei den fachlichen Begrifflichkeiten ist Sorgfalt vonnöten. Zunächst geht jedes Teilnehmerland wie selbstverständlich vom eigenen Verständnis aus, z.B. beim Bildungsbegriff. Dieser reicht aber von „formaçion“ im Spanischen über „training“ im Englischen bis zum weit gefassten Humboldt'schen Bildungsbegriff in Deutschland. Eine ähnliche Diversität gilt für Termini zur Ehrenamtlichkeit bzw. Freiwilligenarbeit und den damit verbundenen unterschiedlichen Vorstellungen in den europäischen Ländern. So ist es durchaus möglich, dass in der jeweiligen Sicht- und Herangehensweise der Partner produktive Entdeckungen für die eigene Perspektive enthalten sind.
Die jeweiligen Sichtweisen bergen Folgen
- für die Auswahl der konkreten Zielgruppe,
- für die Entscheidung darüber, welche Bedarfe und Bedürfnisse mit dem Bildungsangebot aufgegriffen werden sollen sowie
- für die Methodik (die Südeuropäer verstanden darunter in der Regel schulähnliche Frontalkurse, während die Mittel- und Nordeuropäer wie selbstverständlich ein teilnehmerzentriertes, partizipatives Lernen voraussetzen).
Translationales
Im Ringen um die Arbeitsverteilung zwischen Projektpartnern aus verschiedenen europäischen Ländern stößt man auf unterschiedliche Vorstellungen von Verbindlichkeiten und von „good practice“. Interessen sind mitzubedenken bei der Dissemination von Ergebnissen. Es geht den Kooperationspartnern auch um ihr professionelles Ansehen, um die persönliche Beteiligung an auch öffentlich beachteten Innovationen und Konzepten. Es macht einen Unterschied, mit welcher Art von Abnehmern der Ergebnisse (Politiker, Planer, Berufsgruppen verschiedenster Disziplinen, unmittelbar und mittelbar Betroffene) man es zu tun hat, denn sie divergieren in Macht und Einfluss und in ihren Erwartungen.
Dies ist sehr deutlich zu spüren bei den Bemühungen, Nachhaltigkeit zu verankern. In Partnerstädten wurden mit den Bürgermeistern Gespräche geführt, Anschlussfinanzierungen für Begegnungs- und Kursangebote durch kommunale Mittel zu erreichen. Auch hier muss die „Perspektive des anderen“ mit bedacht werden, um die Eigeninteressen der Politik kompatibel mit den zu verstetigenden Bildungsangeboten zu machen.
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